Der Ukraine-Krieg ist auch in den sozialen Medien präsent: Doch welche Information ist vertrauenswürdig; welche eine gezielte Falschmeldung? Die IT-Sicherheitsexperten Michael Kreutzer und Martin Steinebach erklären, wie man Fake News erkennen kann.
Ob Text, Bild oder Video: Die Informationsflut, die Internetnutzerinnen und -nutzern in den sozialen Medien über den Krieg in der Ukraine begegnet, ist kaum überschaubar. Umso schwieriger ist es, vertrauenswürdige Informationen von Desinformationen – sogenannten Fake News – zu unterscheiden. Gezielte Falschnachrichten sollen bewusst Unsicherheit schüren, Meinungen manipulieren, Vertrauen erschüttern. Daher sind sie auch ein beliebtes Instrument für Propaganda im Internet.
„Der Zugang zu Informationen ist Teil der Kriegsführung. Information und Absicht vermischen sich. Dies gilt es erstmal auszuhalten“, erklärt IT-Sicherheitsexperte Martin Steinebach.
So sieht es auch sein Kollege Michael Kreutzer: „Insgesamt müssen wir – zumindest was diese tagesaktuellen Ereignisse angeht – vielfach mit Unsicherheit leben und Geduld haben. Viele Ereignisse können erst mit einer gewissen Verzögerung auf Fakten geprüft werden. Deswegen ist eine generelle Skepsis angebracht. Umso wichtiger ist es, sich nicht von emotional präsentierten Darstellungen, wie beispielsweise Menschen mit blutverschmierten Gesichtern, vereinnahmen zu lassen“, rät der Experte.
Martin Steinebach und Michael Kreutzer arbeiten am „Nationalen Forschungszentrum für angewandte Cybersicherheit“ (ATHENE), das vom BMBF gefördert wird. Dort forschen sie unter anderem dazu, wie sich Desinformationen erkennen und bekämpfen lassen. Die beiden Experten für IT-Sicherheit haben folgende Tipps zum Erkennen von Fake News zusammengefasst.
Texte mit Desinformation zeigen typische Muster auf, die der Einhaltung professioneller journalistischer Standards widersprechen. Vorsicht ist etwa geboten, wenn Meldungen besonders reißerisch daherkommen und eine emotionale Sprache verwendet wird. Weitere Beispiele sind:
- ungenaue Überschriften, die nicht mit dem Nachrichtentext übereinstimmen.
- ein fehlender nachrichtlicher Einstieg in den Artikel. Das heißt: Zu Beginn des Artikels fehlt eine kurze, sachliche Zusammenfassung der Neuigkeit.
- eine verzerrende Gewichtung bei der Gliederung einzelner Informationen. Konkret kann das bedeuten, dass emotionalen (Neben-)Inhalten mehr Raum gegeben wird als den sachlichen Informationen.
- Der Urheber der Nachricht ist nicht ersichtlich.
- Es werden „Experten“ zitiert, die gar keine angesehenen Vertreter des Fachgebietes sind. Die Anzahl der Publikationen in Fachmagazinen kann hier ein erster Ansatzpunkt bei der Recherche sein.
Bei allen Informationen ist die Quelle, von der eine Meldung stammt, wichtig. Prüfen Sie:
- ob andere journalistisch arbeitende Quellen die gleiche Nachricht verbreiten.
- ob Medien im Ausland, in denen vergleichbare journalistische Standards gelten, übereinstimmende Informationen verbreiten.
- wer der Verfasser/Urheber der Information ist und ob er Eigeninteressen verfolgen könnte.
Selbst zu recherchieren, ist Ihnen zu aufwendig? Dann geben Sie Schlagwörter aus der vermeintlichen Falschinformation zusammen mit dem Wort Faktencheck in eine Suchmaschine ein. Häufig wurden Fake News bereits von seriösen Quellen entlarvt. Im Fall aktueller Ereignisse, wie dem Krieg in der Ukraine, kann es allerdings einige Zeit dauern, bis Informationen überprüft werden können.
Es gibt inzwischen viele Techniken zur automatischen Erkennung gefälschter Bilder, die von den Medien angewendet werden. Wichtig ist aber: Die Faktenüberprüfung obliegt nichtsdestotrotz immer noch der Recherche durch Menschen – und ist damit auch fehleranfällig.
Ein einfaches Werkzeug, das jeder Bürger anwenden kann, ist die Bildrückwärtssuche (inverse Bildersuche). Diese kann mit der Bildersuche jeder gängigen Suchmaschine durchgeführt werden, um identische oder minimal veränderte Bilder zu finden. Die Suchmaschine zeigt Ihnen dann an:
- auf welchen Webseiten das Bild bereits verwendet wird.
- in welchem Zusammenhang das Bild genutzt wird.
- seit wann das Foto im Internet zu finden ist.
Wenn ein altbekanntes Bild als Beleg für eine neue Information verwendet wird, dann sollte man misstrauisch werden und nach weiteren Meldungen suchen, die die Aussage durch möglichst mehrere journalistische Quellen belegen oder in Frage stellen. So kursierten in sozialen Netzwerken im aktuellen Ukraine-Konflikt beispielsweise Bilder von Panzern in Waldgebieten, die jedoch gar nicht in der Ukraine entstanden sind. Im aktuellen Geschehen werden zudem häufig Aufnahmen gezeigt, die generisch sind: z. B. brennende Gebäude in der Nacht. Auch wenn diese Bilder authentisch sein sollten, kann jeder sie mit einer beliebigen Aussage verbinden. Ob das Bild brennende Militärkasernen oder Wohngebäude zeigt, ob sie an der Grenze oder im Inneren des Landes liegen, ob hier Opfer zu beklagen sind oder die Gebäude vorab bereits evakuiert wurden, lässt sich nicht erkennen und könnte vom Autor der Social-Media-Meldung frei dazu getextet worden sein.
Generell bedeutet Manipulation, dass ein existierendes Werk so abgeändert wird, dass sich seine Aussage verändert. Das kann durch ein Löschen oder Verschieben von relevanten Objekten im Bild geschehen. Experten nennen dieses Vorgehen „copy & move“. Unabhängig davon, wie das Medium manipuliert wurde, liegt danach allerdings immer ein neues Werk vor, welches eine falsche inhaltliche Aussage aufweist und in dieser Form vorher nicht vorhanden war. Es kann also eventuell nicht über eine Bildrückwärtssuche aufgefunden werden.
Doch jede Manipulation hinterlässt Spuren. Und wo der Mensch nicht weiterkommt, hilft modernste Technologie beim Aufspüren von Fälschungen. Mit Methoden der Künstlichen Intelligenz oder der Multimedia-Forensik, die auch von den ATHENE-Forschenden entwickelt und angewendet werden, lassen sich etwa feinste Veränderungen an den Bildeigenschaften – z. B. eine abweichende Belichtung oder Änderungen in der Schärfe des Bildes – erkennen. Auch das geschulte menschliche Auge erkennt in vielen Fällen solche Abweichungen. Generell gilt aber: Mit technischen Verfahren können Manipulationsspuren aufgedeckt werden, die Menschen verborgen bleiben. Die Ergebnisse dieser Verfahren müssen allerdings von Fachleuten interpretiert werden.
Heutzutage können auch Videos lügen, die auf den ersten Blick vertrauenswürdig wirken – etwa Videos mit Aussagen von Politikern. Denn modernste Technologien machen es möglich, Tonspuren und die Lippenbewegungen des Sprechers zu manipulieren. So können dem Sprecher irreführende Aussagen „in den Mund gelegt“ werden. Solche gefälschten Videos werden Deepfakes genannt. Sie sind eine besondere Bedrohung, da sie sehr authentisch wirken und teilweise nur schwer zu entlarven sind.
Das bedeutet: Auch Bewegtbildern und scheinbaren „Originaltönen“ sollten Sie nicht grundsätzlich vertrauen.
Besonders tückisch an Deepfakes ist, dass sich eine einmal aufgenommene Information in der Erinnerung schwer „überschreiben“ lässt. Zahlreiche Studien belegen, dass auch nach Aufklärung über die falsche Information – etwa durch eine vertrauenswürdige Quelle – trotzdem die alte, falsche Information im Gedächtnis der Menschen bleibt und je nach Kontext abgerufen wird.
Oft lassen sich Fake News durch eine Recherche im Internet entlarven. Doch manche Menschen wollen die Fakten dennoch nicht akzeptieren. Hier raten die Experten Steinebach und Kreutzer: Haben Sie Geduld. Die Wahrheit kommt irgendwann ans Licht. Ihr Tipp: Lassen Sie Ihrem Gegenüber seine Meinung, stimmen dieser aber nicht zu und äußern sie ihre eigene Ansicht. Bleiben sie dran, indem sie anbieten, den Sachverhalt in einigen Wochen noch einmal einem ergebnisoffenen gemeinsamen Faktencheck zu unterziehen.
Wie kann Forschung dabei helfen, Fake News zu entlarven?
Das Bundesforschungsministerium sieht in Fake News eine zunehmende Gefahr für die Demokratie und den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Deshalb fördert das BMBF Projekte, in denen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Fake News und andere Formen der Desinformation erforschen, um Gegenmaßnahmen zu entwickeln. Mehr dazu lesen Sie hier.