Am 28. Januar findet der Europäische Datenschutztag statt. Er wurde 2006 vom Europarat ins Leben gerufen, um die Bürgerinnen und Bürger Europas für den Datenschutz zu sensibilisieren. Prof. Dr. Alexander Roßnagel ist Sprecher des Forschungsverbunds „Forum Privatheit“ und erklärt im Interview, welche Chancen der Datenschutz in der Ära der Digitalisierung für Deutschland und Europa bietet.
Personenbezogene Daten werden rund um die Uhr verarbeitet – am Arbeitsplatz, beim Kauf von Waren, beim Kontakt mit Behörden, im Gesundheitswesen oder auf Reisen und beim Surfen im Internet. Doch viele Menschen kennen die Risiken im Zusammenhang mit ihren Daten nicht, geschweige denn ihre Rechte. Das BMBF-geförderte Forum Privatheit ist ein interdisziplinärer Forschungsverbund, der seit Jahren zum Datenschutz forscht und Bürgerinnen und Bürger zu diesem Thema fundiert informiert. Im Interview erklärt Prof. Dr. Alexander Roßnagel, Sprecher des „Forum Privatheit“, wie Europa Datenschutz als Chance nutzen kann.
Herr Professor Roßnagel, jüngst haben sich viele Menschen mit dem Thema Datenschutz beschäftigen müssen: Der breit genutzte Messengerdienst Whatsapp wollte seine Datenschutzregeln zum 8. Februar anpassen und Nutzende verpflichten, diesen zuzustimmen, wenn sie den Dienst weiter nutzen möchten. Aufgrund des öffentlichen Drucks wurde die Datenschutzänderung auf Mitte Mai verschoben, um die Betroffenen zunächst genauer über die Tragweite der Anpassungen zu informieren. Welche Aspekte sind bei diesem aktuellen Fall für Sie als Experte für Datenschutzrecht besonders interessant?
Für einen kostenlosen Dienst im Internet zahlt man meist mit seinen Daten. Die Datenschutzregeln erlauben dem Anbieter, sie zeitlich und inhaltlich unbeschränkt zu nutzen. Whatsapp wollte die Daten an den Mutterkonzern Facebook weitergeben, der sie zu Persönlichkeitsprofilen zusammenführt, für individualisierte Werbung nutzt, anderen zur Verfügung stellt und für sonstige Gewinninteressen ausbeutet.
Wie können wir Technologie – wie zum Beispiel einen Messengerdienst – von Anfang an datenschutzgerecht gestalten?
Der Dienst muss sich refinanzieren können. Er sollte dies aber in einer Weise tun, die den Nutzern eine selbstbestimmte Nutzung ermöglicht. Hierfür ist es wichtig, dass Nutzer zwischen Alternativen wählen können. Beispiele für solche Alternativen sind: Zahlung mit Geld oder mit Daten, mit individualisierter, allgemeiner oder keiner Werbung, mit enger Zweckbindung und Datenlöschung oder mit breiter Verwendungsmöglichkeit. Dabei müssen die datenschutzfreundlichste Variante voreingestellt und alle Datenschutzanforderungen in der Technik umgesetzt sein. In Fachkreisen sprechen wir hier von Privacy by Default und Privacy by Design.
Von vielen wird Datenschutz aber im Moment noch eher als Störfaktor empfunden. Warum ist das so? Was kann man dagegen tun?
Viele nutzen „Datenschutz“ für andere Interessen als den Schutz von Grundrechten. Seine Bürokratisierung dient oft der Geheimhaltung oder Gewinninteressen. Viele Unternehmen verstecken ihre Absichten hinter umständlichen Datenschutzerklärungen, die indirekt erzwingen, auch unfaire Bedingungen zu akzeptieren. Dagegen muss man die Zielsetzung des Datenschutzes – Selbstbestimmung des Einzelnen – betonen und über die Zusammenhänge aufklären.
Ist die europäische Datenschutz-Grundverordnung aus Ihrer Sicht ein Fortschritt für den Datenschutz?
Im Großen und Ganzen ja. Vor allem bringt sie die Werte zum Ausdruck, auf die sich die Mitgliedstaaten der EU auf dem Weg in die digitale Gesellschaft geeinigt haben: Menschenwürde, Persönlichkeitsschutz und Demokratie. Sie zeigt damit einen dritten Weg auf – zwischen der digitalen Kontrolle chinesischer Prägung und dem kalifornischen Digitalkapitalismus.
Deutschland und Europa haben im Datenschutz einen gewissen Vorsprung. Wie können wir diesen Vorsprung halten und nutzen?
Für den europäischen Weg der Digitalisierung benötigen wir eine gewisse technologische Souveränität, die eine grundrechtsfördernde und gemeinwohlorientierte Technikentwicklung ermöglicht. Damit wirkt die EU weltweit als Vorbild. Viele andere Staaten wollen diesen Weg mit uns gemeinsam gehen und gleichen ihre Datenschutzgesetze der DSGVO an. Die EU muss diesen Weg ausbauen und zeigen, dass sie ihre Vorgaben auch gegenüber globalen Anbietern durchsetzt.
Was ist aus Ihrer Sicht zu tun, damit Datenschutz „made in Europe“ zum echten Innovationstreiber und Qualitätsmerkmal werden kann?
Technologien aus der EU sollten für „eingebauten“ Datenschutz stehen und dadurch auf dem Weltmarkt attraktiv sein, weil andere Staaten nach vergleichbaren Lösungen suchen. Auch kann man anderen Volkswirtschaften helfen, Produkte und Dienste zu entwickeln, die auf dem EU-Markt angeboten werden können.
Die DSGVO sieht vor, dass Menschen in die Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten aktiv einwilligen müssen. Wie bewerten Sie dieses Instrument der Einwilligung? Macht es nicht eine breite Nutzung von Daten möglich?
Eigentlich entspricht die Einwilligung der informationellen Selbstbestimmung. Dazu kann sie aber nicht führen, wenn zwischen den Parteien ein eklatantes Machtungleichgewicht besteht. Insbesondere für die Nutzung digitaler Infrastrukturen − sprich zum Beispiel Suchdienste oder soziale Netzwerke − ist sie ungeeignet, weil deren Nutzungsbedingungen feststehen. Deren Fairness müssen Gesetze sichern.
Ein wichtiger Aspekt der Arbeit des Forschungsverbunds „Forum Privatheit“ ist ein Technikverständnis, das ethische, soziale und rechtliche Anforderungen frühzeitig einbeziehen will. Was heißt das und warum ist das so wichtig?
Techniksysteme sind sozio-technische Systeme. Zu verstehen, wie sie auf den Menschen und die Gesellschaft wirken, erfordert die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Technik-, Wirtschafts-, Sozial-, Geistes- und Rechtswissenschaften. Sollen Risiken vermieden und Chancen genutzt werden, sind für diese Techniksysteme Vorschläge zu ihrer gemeinwohlverträglichen Gestaltung zu erarbeiten und frühzeitig einzubeziehen, bevor vollendete Tatsachen entstehen.
Zum Abschluss noch eine persönliche Frage: Wie halten Sie es mit dem Datenschutz, wenn Sie digitale Technik nutzen?
Ich nutze digitale Techniken, wenn ich mit ihnen besser lebe als ohne sie. Daher nutze ich kein soziales Netzwerk. Soweit geeignete Alternativen bestehen – wie bei Videokonferenzen, Messengerdiensten oder Suchmaschinen − oder ich die Technik gestalten kann – zum Beispiel über Cookies und Einstellungen − wähle ich die datenschutzfreundlichste Lösung. Wenn es keine relevanten Alternativen gibt – wie etwa bei Betriebssystemen von Smartphones − „beiße ich in den sauren Apfel“.
Wir danken Ihnen für das Gespräch.