„Menschen glauben vor allem Informationen, die zu ihren bisherigen Einstellungen passen“

Prof. Dr. Nicole Krämer, Leiterin des Fachgebiets Sozialpsychologie an der Universität Duisburg-Essen, spricht im Interview über die Verbreitung und Gefahr von Falschinformationen für die Demokratie.

Prof. Dr. Nicole Krämer, Leiterin des Fachgebiets Sozialpsychologie an der Universität Duisburg-Essen© Nicole Krämer

Nicole Krämer leitet mehrere Forschungsprojekte zur Meinungsbildung in sozialen Medien sowie zu psychologischen Aspekten von Privatheit. Sie engagiert sich als Partnerin im Forum Privatheit, dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten, interdisziplinären Forschungsverbund für ein selbstbestimmtes Leben in der digitalen Welt. Zudem forscht sie im ebenfalls BMBF-geförderten Projekt „DORIAN – Fake News finden und bekämpfen“. Auf dem Berliner Kongress für wehrhafte Demokratie „Öffentliche Sicherheit 2019“ diskutierte sie Anfang Juni auf einem Podium mit Vertreterinnen und Vertretern aus Politik und Gesellschaft zum Thema „Fake News und Demokratie“.

Frau Krämer, Sie haben als Expertin zum Thema Falschinformationen am Kongress „Öffentliche Sicherheit“ teilgenommen. Inwiefern sind sogenannte „Fake News“ eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit?
Falschinformationen können auf verschiedenen Wegen problematische Auswirkungen auf Gesellschaft, Demokratie und öffentliche Sicherheit haben. Auf der einen Seite einen direkten Einfluss, dadurch, dass Falschinformationen geglaubt werden und auch das Verhalten beeinflussen, vorstellbar zum Beispiel im Falle von potenzieller Missinformation zu Naturkatastrophen oder Anschlägen. Aber auch auf indirektem Wege können Falschinformationen langfristig gefährlich sein. Es ist bereits jetzt erkennbar, dass große Teile der Bevölkerung Sorge haben, Falschinformationen zu erliegen. Wenn das generelle Misstrauen in Meldungen steigt, können demokratische Prozesse nicht mehr gut funktionieren.

© Wegweiser Media & Conferences GmbH / Simone M. Neumann

Weshalb ist es wichtig, dass solche Falschinformationen bekämpft werden?
Der einzelne Social Media Rezipient hat nur begrenzte Möglichkeiten, selbst zu erkennen, ob eine Nachricht falsch oder richtig ist. Dabei gehen Menschen überwiegend kompetent vor und achten zum Beispiel auf die Glaubwürdigkeit der Quelle, aus der die Information stammt. Die ursprüngliche Quelle ist aber in vielen Fällen gar nicht erkennbar. Um daher die beiden oben skizzierten Gefahren abwenden zu können, ist es wichtig, dass Rezipientinnen und Rezipienten Unterstützung beim Versuch erhalten, falsche und richtige Informationen voneinander zu unterscheiden.

Welche Lösungen entwickeln Sie und Ihr Team hierfür im Projekt DORIAN?
Das Gesamtprojekt arbeitet mit einem interdisziplinären Forschungsteam aus den Fachbereichen Informatik, Journalismus, Jura und Psychologie daran, Falschmeldungen automatisch zu erkennen und im Einklang mit juristischen Prinzipien zu kennzeichnen. Unser Anteil in der Psychologie  ist in diesem Rahmen, im Vorfeld durch experimentelle Untersuchungen herauszufinden, welche Art der Kennzeichnung (Warnhinweise, Zeitpunkt der Hinweise) am hilfreichsten und nachhaltigsten ist. Dabei gilt es auch, den so genannten Falschinformationseffekt zu beachten, der besagt, dass einmal in bestehende Wissens- und Erfahrungskonzepte eingefügte Information nur schwer wieder mit korrekter Information überschrieben werden kann.                                                                                   

Weshalb ist es wichtig, technische Forschung durch Forschung aus anderen Disziplinen wie der Sozialpsychologie zu begleiten?
Wenn informatische Forschung erarbeitet hat, wie es gelingen kann, Falschinformation zuverlässig auf automatischem Wege zu erkennen, fehlt immer noch Wissen dazu, wie diese Information der Nutzerin oder dem Nutzer übermittelt werden sollen. Wichtig ist etwa zu klären wie Warnhinweise gestaltet sein sollten, ob alle Meldungen mit Hinweisen auf den Grad der Korrektheit versehen werden sollen oder nur die, die falsch sind, ob die Korrektur die ursprünglich falsche Nachricht nochmal wiederholen soll und wie ausführlich die Korrektur sein muss.

Welche sozialpsychologischen Prozesse spielen bei der Verbreitung von Fake News eine Rolle?
Eine wichtige Rolle spielt der gerade bereits beschriebene Falschinformationseffekt, der dafür sorgt, dass Falschinformationen im Gedächtnis bleiben, selbst wenn Personen über die Falschheit informiert wurden und die neue Information als korrekt bezeichnen. Weiterhin spielt aber auch der Confirmation Bias eine Rolle. Menschen glauben vor allem Informationen, die zu ihren bisherigen Einstellungen passen. Das führt dazu, dass man bestimmte Falschinformation eher liest als andere und diese auch bereitwilliger in die eigene Meinung überführt.

Ihr Fachgebiet ist die Medienpsychologie. Wie beeinflussen Digitalisierung und Social Media den Wandel Ihrer wissenschaftlichen Disziplin?
Durch die gestiegene Bedeutung befasst sich ein großer Anteil der medienpsychologisch arbeitenden Forschenden mittlerweile mit Effekten der Digitalisierung oder von Social Media – und kaum noch etwa mit den Effekten des Fernsehens. Dennoch müssen nicht alle Theorien und Annahmen umgeschrieben oder angepasst werden. Viele Phänomene und Effekte passieren mittlerweile zwar schneller, beruhen aber auf psychologischen Mechanismen, die wir bereits seit langem kennen – wie dem Falschinformationseffekt oder dem Confirmation Bias. Letztlich bestehen Social Media ja überwiegend nicht aus neuartigen technologischen Entwicklungen, sondern sind immer noch Menschen, die mit Menschen kommunizieren – wenn auch mit höherer Schnelligkeit und Reichweite als früher.

Vor der Europawahl Ende Mai gab es viele Befürchtungen, dass im Netz verbreitete Desinformationen großen Einfluss auf Wahlentscheidungen haben könnten. Spielte das Thema aus Ihrer Sicht eine große Rolle?
Unsere journalismuswissenschafltichen Kollegen im Projekt Dorian konnten feststellen, dass in bestimmten Kreisen auch vor der Europawahl verschiedenste Falschinformationen kursierten, die aber zum Glück meist nicht in die weitere Öffentlichkeit gelangt sind. Verbreitung in bestimmten Kreisen kann aber im Sinne des Confirmation Bias bereits reichen, um bislang unentschiedene Wählerinnen und Wähler in ihrer Entscheidung zu beeinflussen.

Woran könnte das gelegen haben?
Die Tatsache, dass Falschinformationen in der breiteren Öffentlichkeit keine Verbreitung gefunden haben, kann an der Tatsache liegen, dass die Bevölkerung in den vergangenen zwei Jahren bereits sensibilisiert wurde. Denn Studien zeigen, dass die Verbreitung von Falschnachrichten im Wesentlichen durch Menschen (und nur in geringerem Maße durch automatisierte Systeme wie social bots) geschieht. Nichtsdestotrotz wird es weiterhin Akteure geben, die Falschinformationen lancieren. Daher ist weitere Forschung wichtig, die die Bevölkerung bei der Erkennung und Vermeidung von Falschinformation unterstützt.

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