„Aufwachsen in überwachten Umgebungen: Wie lässt sich Datenschutz in Schule und Kinderzimmer umsetzen?“ – so lautete der Titel der Jahreskonferenz 2019 des vom BMBF geförderten Forum Privatheit.
In Berlin trafen sich am 21. und 22. November rund 150 Forschende aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen sowie Praktikerinnen und Praktiker aus Datenschutz und Bildungsarbeit. Auch Schülerinnen und Schüler waren zu Gast.
Im Mittelpunkt der Konferenz stand die Frage, wie angesichts der zunehmenden Verbreitung digitaler Technologien im schulischen und privaten Umfeld Datenschutz bei Kindern und Jugendlichen gewährleistet werden kann. Denn es ist ein Fakt: Digitale Technologien spielen eine immer bedeutendere Rolle im Leben der meisten Kinder und Jugendlichen. Das Smartphone ist für viele ständiger Begleiter, im Kindergarten kommen bereits vereinzelt Lernroboter zum Einsatz und in der Schule unterstützen Apps zunehmend den Unterricht. Heranwachsende nutzen wie selbstverständlich Messengerdienste, soziale Medien sowie Videoplattformen und digitale Medien werden für Lernprozesse, die Wissensvermittlung und die Informationsbeschaffung immer wichtiger. Diese digitalen Technologien bieten einerseits neue Formen der Teilhabe. Worüber andererseits bis dato noch wenig reflektiert wird, sind Privatheits-, Überwachungs- und Datenschutzfragen in diesem sensiblen und wichtigen gesellschaftlichen Bereich. In den meisten Anwendungen fallen nämlich Daten an, die viel über die Heranwachsenden aussagen.
Im interdisziplinären Forschungsverbund Forum Privatheit setzen sich Expertinnen und Experten aus sieben wissenschaftlichen Institutionen interdisziplinär mit solchen Fragestellungen zum Schutz der Privatheit in der digitalen Welt auseinander. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erarbeiten beispielsweise praxisorientierte Publikationen wie White Paper und Policy Paper, die Gestalterinnen und Gestaltern aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft als Entscheidungs-, Handlungs- und Diskussionsgrundlage dienen. In diesem Jahr bildete das Thema Datenschutz für Kinder und Jugendliche einen wichtigen Forschungsschwerpunkt.
„Wir brauchen Forschung, die Orientierungswissen erarbeitet. Wenn wir zum Beispiel darüber nachdenken, wie Algorithmen im Sinne von mehr Privatheit gestaltet sein sollten, brauchen wir auch Erkenntnisse aus der Soziologie, der Psychologie, den Rechtswissenschaften und der Philosophie. Kurz: Wir brauchen Leitplanken“, sagte Dr. Herbert Zeisel, Leiter der Unterabteilung Forschung für den Digitalen Wandel im Bundesministerium für Bildung und Forschung, in seiner Eröffnungsrede. Ziel des Forschungsverbundes Forum Privatheit sei es deshalb, solche Leitplanken zu entwickeln. Bei der zweitägigen Konferenz des Forschungsverbunds haben Forschende aus Rechtswissenschaft, Ethik, Kommunikationswissenschaft, Psychologie und Erziehungswissenschaft ihre Ergebnisse präsentiert und sich mit Praktikerinnen und Praktikern aus Schule und sozialer Arbeit ausgetauscht.
Medienethikerin PD Dr. Jessica Heesen vom Internationalen Zentrum für Ethik in den Wissenschaften IZEW an der Universität Tübingen: „Eine datafizierte Gesellschaft bietet einerseits die Chance, viel zu lernen, doch andererseits kann fast jedes Subjekt identifiziert werden.“
Die Vorträge zum Stand der empirisch-sozialwissenschaftlichen Forschung fasste die Medienpsychologin Prof. Dr. Nicole Krämer von der Universität Duisburg-Essen zusammen: „Bislang haben wir nur erste Hinweise darauf, wie gut Kinder verschiedener Altersstufen die Gefahren verstehen können, die mit der Sammlung und Speicherung ihrer Daten einhergehen.“
Prof. Dr. Nicole Krämer, Professorin für Medienpsychologie an der Universität Duisburg-Essen: „Forschung zum Datenschutz für Kinder und Jugendliche ist wichtig, denn Kinder haben zu wenig Hintergrundwissen darüber, was mit den eigenen Daten passiert.“
„Wenn Kinder Privatsphäre schätzen lernen sollen, muss ihre Privatsphäre auch geschätzt werden”, sagte die Medienethikerin Dr. Ingrid Stapf vom Internationalen Zentrum für Ethik in den Wissenschaften an der Universität Tübingen in ihrem Impulsvortrag „Was impliziert das Kinderrecht auf Privatsphäre im Zeitalter des Digitalen?“ Sie bezog sich dabei beispielsweise auf Spielzeug mit Kameras, Mikrofonen und weiterer Technik, das Eltern auch zur Überwachung der Kleinsten nutzen können. Einig waren sich die Teilnehmenden darin, dass der Schutz der Privatsphäre für die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen besonders wichtig sei. Der Institution Schule komme dabei eine Schlüsselrolle zu. „Die Schule muss eine Vorbildfunktion haben, was die Wahrung von Privatsphäre angeht. Schulen in freien Gesellschaften haben die Funktion, die Kinder vorzubereiten auf ein Leben als mündige Bürgerinnen und Bürger. Und hierfür brauchen sie natürlich eine Umgebung, in der sie auch etwas erproben können“, so PD Dr. Jessica Heesen vom Internationalen Zentrum für Ethik in den Wissenschaften an der Universität Tübingen.
Medienpsychologin Prof. Nicole Krämer: „Wir müssen im Unterricht für Medienkompetenz sorgen und brauchen technologische Lösungen.“
Als weiterer Ansatz, um den Datenschutz für Kinder und Jugendliche im digitalen Leben zu verbessern, wurde beispielsweise das Prinzip „Privacy by Design“ für wichtig erachtet, also eine datenschutzgerechte Systemgestaltung: Bei der Entwicklung von Software, Internetplattformen und anderen digitalen Systemen solle Datenschutz von Anfang an wesentlich im Entwicklungsprozess mitgedacht und umgesetzt werden. Eng damit verbunden: der Gedanke von „Privacy by Default“, sprich, dass maximal datenschutzfreundliche Einstellungen – zum Beispiel bei Social-Media-Plattformen – der Standard sein sollten. Kinder und Jugendliche müssten sich somit nicht erst aufwändig durch Menüs klicken, wenn sie ihre Privatsphäre schützen möchten.
Als weitere wichtige Stellschraube, um mehr Datenschutz für Kinder und Jugendliche in der digitalen Welt zu schaffen, identifizierten zahlreiche Expertinnen und Experten die sogenannten Einwilligungserklärungen bei der Nutzung von Internetdiensten. Diese seien momentan viel zu lang und schwer verständlich. „Consent is actually irrelevant“, konstatierte die britische Sozialpsychologin Sonia Livingstone von der London School of Economics and Political Science im Hinblick auf die aktuelle Situation. Dies gelte es zu verändern und mehr Verständlichkeit zu schaffen – was wiederum nicht nur Kindern und Jugendlichen zugutekäme: „A world designed for children would be better for adults“, so Livingstone.
Die Tagung hat gezeigt, wie groß das gesellschaftliche Interesse an kritischen Fragen zur Überwachung von Kindern und Jugendlichen ist, vor allem aber auch, wie hoch die gesellschaftliche Relevanz des Themas ist. Denn Kinder und Jugendliche sollen und wollen sich nicht an einen überwachten Alltag gewöhnen. „Digitales und Datenschutz sind so abstrakt und schwer zu fassen. Wir kennen uns gut aus im Netz, aber sind Analphabeten im Datenschutz“, sagte die Gymnasiastin Mia Pagenkämper bei der abschließenden Podiumsdiskussion.
Die Anwesenden waren sich einig: Kinder und Jugendliche benötigen ganz besonderen Schutz in der digitalen Welt, weil sie vieles noch nicht hinterfragen und durchschauen können. In den Beiträgen fast aller Referentinnen und Referenten erklang deshalb die deutliche Forderung nach mehr rechtlichem Schutz für Kinder und Jugendliche im digitalen Raum. Medienethikerin Jessica Heesen resümierte die Ergebnisse der Konferenz: „Eine digitale Gesellschaft, die ein Kinderrecht auf Privatheit umsetzt, ist eine Gesellschaft, die für alle sicherer, demokratischer und freier ist.“
Regina Ammicht Quinn, Sprecherin des Tübinger Zentrums für Ethik in den Wissenschaften: „Es geht nicht darum, dass die Informatikerinnen und Informatiker einfach darauf los programmieren. Nötig ist ein gesellschaftlicher Diskurs – und wir müssen Kinder und Jugendliche früh einbeziehen.“