Jahreskonferenz Forum Privatheit 2019: Eindrücke aus den Vorträgen

 “Children’s data and privacy online“, Sonia Livingstone

Die Sozialpsychologin Sonia Livingstone berichtete in ihrer Keynote aus ihrer Forschung zum Datenschutz für Kinder. © Forum Privatheit/Luca Abbiento

Die Sozialpsychologin Sonia Livingstone von der London School of Economics machte in ihrer Keynote darauf aufmerksam, dass Unternehmen, die soziale Netzwerke betreiben, ganz besonders stark im Datensammeln und der Profilbildung seien: zum Beispiel um passgenaue Werbung („Microtargeting“) zu verkaufen. Problematisch daran: Jugendliche nutzen diese sozialen Medien besonders intensiv, was wiederum arge Bedrohungen für deren Privatheit darstellt. Denn viele der Daten sind personenbezogen oder personenbeziehbar und lassen sich zu Persönlichkeitsprofilen aggregieren. Sonia Livingstone stellte fest, dass es bislang eine ungenügende Datengrundlage gebe, um zu entscheiden, ab welchem Alter Kinder wirklich „informiert“ und „selbstbestimmt“ Social Media-Plattformen und Messenger-Dienste nutzen könnten. Ihre Forschungsergebnisse zeigten auch, dass Kinder zwar oft noch keine genaue Vorstellung davon hätten, dass und warum ihre Daten zu kommerziellen Zwecken gesammelt würden, dass sie aber den Wunsch hätten, besser aufgeklärt und auch geschützt zu werden. Vor allem wies sie darauf hin, dass die Gesellschaft nicht erst Technologien in die Welt bringen und dann den Kindern und Jugendlichen deren Nutzung verbieten könne, um sie vor den Gefahren zu schützen. Vielmehr müssten regulatorisch die Bedingungen dafür geschaffen werden, dass trotz der Nutzung von Technologien die Privatsphäre gewahrt bliebe, forderte Livingstone. (Weitere Informationen im Blog von Sonia Livingstone - englisch)

 „Privatheit und Selbstbestimmung von Kindern in der digitalisierten Welt“, Prof. Alexander Roßnagel

Der Jurist Prof. Alexander Roßnagel ist Sprecher des Forum Privatheit und schlug konkrete rechtliche Anpassungen vor, um Kinder und Jugendliche besser zu schützen.© Forum Privatheit/Luca Abbiento

Prof. Alexander Roßnagel, Sprecher des Forum Privatheit, beleuchtete die aktuelle rechtliche Situation des Datenschutzes für Kinder und Jugendliche: „Wir brauchen eine kinderfreundliche Gesellschaft“, sagte er mit Blick auf das 30-jährige Bestehen der UN-Kinderrechtskonvention. In dem völkerrechtlichen Übereinkommen von 1989 ist in Artikel 16 das Recht der Kinder auf Privatsphäre verankert. Entsprechend gelte es, Kinder und Jugendliche auch im Digitalen ganz besonders zu schützen. Hierfür präsentierte der Rechtswissenschaftler konkrete Anpassungsvorschläge der EU-Datenschutz-Grundverordnung. So forderte er etwa, dass „keine Kinderdaten für Werbezwecke und zur Bildung von Persönlichkeitsprofilen genutzt werden dürfen“ und plädierte dafür, die Widerspruchsmöglichkeiten für Kinder auszuweiten. „Über einen besseren Schutz der Kinder in der digitalen Welt sollte es keinen Dissens geben“, so sein Appell.

„Ein Tag im Leben eines datafizierten Schulkindes“, Jen Persson

Jen Persson, Direktorin der Organisation „defenddigitalme“ bei ihrem Vortrag „Ein Tag im Leben eines datafizierten Schulkindes“.© Forum Privatheit/Luca Abbiento

Eine Ahnung davon, wie weit die digitale Vermessung von Schulkindern schon gehen kann, vermittelte Jen Persson in ihrem Vortrag „Ein Tag im Leben eines datafizierten Schulkindes“. Die Direktorin der Organisation „defenddigitalme“ hat in England diverse Kampagnen zur Änderung des Umgangs mit 21 Millionen Schülerdaten geleitet. Sie berichtete, wie stark digitale Technik bereits im englischen Schulalltag eingesetzt wird: ob bei der Anwesenheitskontrolle per Schulinformationssystem, biometrischem Bezahlen in der Mensa oder bei Lernapps, die zum Beispiel präzise die Lesegeschwindigkeit erfassen. Persson beklagte, dass die technischen Lösungen zwar schon breitflächig eingesetzt würden, es jedoch beim Großteil der Akteure des Schulsystems am tieferen Verständnis mangele – mit erheblichen Konsequenzen für die Privatheit der Kinder. (Weitere Informationen bei Defenddigitalme - englisch)

„Recht auf mein Selbst“, Dr. Stephan Dreyer

Stephan Dreyer, Senior Researcher und Leiter des Forschungsprogramms „Transformation der öffentlichen Kommunikation“ am Leibniz-Institut für Medienforschung, sprach in seiner Keynote zum Thema „Recht auf mein Selbst – Schutzräume kindlicher Entwicklungsphasen in der digitalen Gesellschaft“.© Forum Privatheit/Luca Abbiento

Vor einer „normalisierten Gesellschaft“, in welcher Individuen durch Algorithmen vereinheitlicht werden, warnte der Jurist Dr. Stephan Dreyer vom Leibniz-Institut für Medienforschung. Viele rechtliche Regelungen zum Kinderschutz sieht er durch die Entwicklung und Verbreitung neuer Technologien faktisch in Frage gestellt und fordert eine Neuinterpretation des Freiheitsbegriffs im Sinne eines Konzepts informationeller Unversehrtheit. „Wir brauchen einen digitalen Schutzraum für Kinder“, so Dreyer. Hier sieht er vor allem den Gesetzgeber in der Pflicht, bestimmte Technologien zu verbieten, so z.B. nutzungsbasiertes Tracking von Minderjährigen sowie die Nutzung prädiktiver Verfahren – also das Sammeln von Daten, um daraus Vorhersagen abzuleiten – bei Kindern und Jugendlichen. Schließlich seien auch Angebote zu schaffen bzw. auszuweiten, die Kinder und Jugendliche bei der Durchsetzung ihrer Privatheit unterstützen.

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