Das diesjährige Schwerpunktthema des BMBF-geförderten Forums Privatheit lautet „Datenökonomie“. Am 11. und 12. Oktober fand in München eine Konferenz zu diesem Thema statt: Expertinnen und Experten diskutierten darüber, wie eine gerechte Datenökonomie der Zukunft aussehen kann.
Smartphones, Apps und soziale Netzwerke sind heutzutage weder aus der Arbeitswelt noch aus dem Privatleben wegzudenken. Wie aber sehen die wirtschaftlich-technischen Strukturen dahinter aus? Wie wird dort Geld verdient, welche Verfahren werden eingesetzt – und wie wirkt sich all dies auf die Gesellschaft aus? Dies waren zentrale Fragen, die auf der Jahreskonferenz des interdisziplinären Forums Privatheit unter dem Themendach „Die Zukunft der Datenökonomie: Gestaltungsperspektiven zwischen Geschäftsmodell, Kollektivgut und Verbraucherschutz“ diskutiert wurden. In Vorträgen und Diskussionen beleuchteten Expertinnen und Experten aus verschiedenen wissenschaftlichen Perspektiven sowohl problematische Entwicklungen der Gegenwart als auch mögliche Lösungsansätze für eine künftige Balance zwischen Gemeinwohl, wirtschaftlichen Interessen und Verbraucherschutz. So ging es beispielsweise um neue Strukturen und Machttechniken der Datenökonomie wie Social Scoring und Predictive Analytics. Zudem stellten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre Erkenntnisse zu Open Data sowie zum Verhältnis zwischen der Wertschöpfung und dem Preis des Digitalen vor. Auch Eigentumsrechte an Daten waren ein wichtiges Thema auf der Konferenz.
Prof. Dr. Jörn Lamla, Professor für Soziologische Theorie an der Universität Kassel und Mitglied des Forums Privatheit, machte das Kernproblem deutlich: „Zurzeit gibt es leider nur eine Perspektive: profitable ökonomische Wertschöpfung. Doch das ist nur einer von mehreren Wertgesichtspunkten, um die es in der Datenökonomie geht.“ Eine Möglichkeit, dies zu ändern, sieht der Medienaktivist Prof. Dr. Geert Lovink , Gründer des Instituts für Netzwerk-Kulturen an der Universität für angewandte Wissenschaften Amsterdam, in alternativen Wertschöpfungs- und Einkommensmodellen im Internet: „Im Moment profitieren von der ganzen Content-Produktion der Internet-Nutzerinnen und -Nutzer in erster Linie jene Plattformen, denen es gelingt, sich als zentrale Instanz zu positionieren, und nicht die gesamte Zivilgesellschaft. Um dem Trend zur Zentralisierung entgegenzutreten, brauchen wir das, was ich als ‚federated networks‘ bezeichne: ein Bündnis alternativer Netze.“
Wie das Internet und insbesondere Social Media unser Leben grundlegend prägen und welche Alternativen es gibt: ein Expertenstatement von Prof. Dr. Geert Lovink, Gründer des Instituts für Netzwerk-Kulturen an der Universität für angewandte Wissenschaften Amsterdam.
Prof. Dr. Shoshana Zuboff, Professorin für Betriebswirtschaftslehre an der Harvard Business School, war mit ihrer Keynote per Video zugeschaltet. Sie sieht die Menschheit aktuell an einem historischen Scheideweg: „Das Problem liegt weder in den digitalen Technologien als solchen noch in irgendeinem bestimmten Einzel-Unternehmen. Es liegt vielmehr in einer neuartigen Logik der Kapital-Akkumulation, die ich als Überwachungskapitalismus bezeichne. Konzerne gewinnen aus menschlichen Erfahrungen Verhaltensdaten, um daraus Vorhersage- und Steuerungspotenziale zu produzieren und zu verkaufen.“ Die Entstehung dieses Verhaltenssteuerungsmarktes habe weitreichende Konsequenzen: „Neue soziale Ungleichheiten und unbekannte ökonomische Herrschaftsformen entstehen. Etablierte Grundlagen der Demokratie, wie etwa Autonomie und Privatheit, geraten unter Druck.“
Zum Abschluss diskutierten Expertinnen und Experten aus den Blickwinkeln von Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Aufsichtsbehörden, wie die Zukunft der Datenökonomie gesellschaftlich und politisch gestaltet werden sollte. Prof. Dr. Wolf-Dieter Lukas, Abteilungsleiter im Bundesministerium für Bildung und Forschung, sagte: „Es geht nicht nur darum, mit Hilfe von Digitalisierung das Neue in die Welt zu bringen. Es geht darum, mit den Möglichkeiten, die die Digitalisierung bietet, die Lebensumstände der Menschen zu verbessern. Dabei geht es nicht nur um Geschwindigkeit, auf die Richtung kommt es an. Wer nur über Ethik redet, kommt nicht voran. Aber wer gar nicht über Ethik redet, verliert die Orientierung.“
Eine wesentliche Erkenntnis der Konferenz: Die Zukunft der Datenökonomie bedarf einer aktiven politischen und zivilgesellschaftlichen Gestaltung. „Wenn wir das Potenzial der Digitalisierung heben wollen, müssen wir uns verstärkt darum Gedanken machen, wie Selbstbestimmung zukünftig gedacht werden muss. Nicht nur die individuelle, sondern auch die kollektive Selbstbestimmung ist Voraussetzung für den langfristigen Erhalt der Demokratie. Dazu brauchen wir jedoch auch transnationale gesellschaftliche Debatten, um uns über zivilisatorische Standards weltweit zu verständigen“, so Jörn Lamla vom Forum Privatheit. Für Prof. Dr. Thomas Hess, ebenfalls Mitglied des Forums Privatheit und Direktor des Instituts für Wirtschaftsinformatik und neue Medien an der Ludwig-Maximilians-Universität München, gibt es bereits jetzt gute ökonomische Gestaltungsansätze, etwa im Steuer- oder Wettbewerbsrecht, aber auch im Datenschutzrecht. Er ist sicher: „Wer interessante digitale Angebote erfolgreich am Markt positioniert, der kann auch seine Vorstellungen von Schutz und Verwendung personenbezogener Daten in die Welt bringen. Letztlich ist es wichtig, Datenschutz als Chance für die Datenökonomie zu begreifen.“