Auf der Jahrestagung der Plattform Privatheit zum Thema „Data Sharing – Datenkapitalismus by Default?“ diskutierten rund 150 Teilnehmende darüber, wie geteilte Daten nicht nur der Wirtschaft, sondern auch dem einzelnen Menschen und der Gesellschaft zu Gute kommen können. Besonders im Blick standen Lösungen, die informationelle Selbstbestimmung beim Datenteilen ermöglichen können.
Im Rahmen der Konferenz am 5. und 6. Oktober in Berlin loteten die Akteure der Plattform Privatheit gemeinsam mit externen Gästen die Chancen und Risiken einer umfassenden Datensammlung, -verbreitung und -nutzung aus. Teilnehmende aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen sowie der wirtschaftlichen, politischen und behördlichen Praxis diskutierten die aktuellen Entwicklungen des Datenkapitalismus und Ansätze der europäischen Datenregulierung.
Mario Brandenburg, Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung, eröffnete die Konferenz. In seinem Grußwort betonte er, wie wichtig es sei, ein innovationsfreundliches Umfeld zu schaffen, in dem Datenteilen Innovationen und Fortschritt ermögliche, aber gleichzeitig der Schutz der Privatheit nicht geopfert werde. „Wir befördern ein Setting, das Innovationen beflügelt und zugleich europäische Werte schützt“, so Mario Brandenburg. Mit der Plattform Privatheit habe das Bundesministerium für Bildung und Forschung seine Forschungsförderung im Themenfeld in der aktuellen Legislaturperiode deutlich ausgebaut, auch mit dem Ziel, der inzwischen sehr vielfältigen interdisziplinären Forschungslandschaft in Deutschland gerecht zu werden und diese miteinander zu vernetzen.
Paul Nemitz ging in seiner Keynote „Praktische Konkordanz und Kohärenz von Individualrechten und öffentlichem Interesse im EU-Recht der persönlichen Daten“ darauf ein, dass Datenschutz und Innovation nicht in einem Spannungsverhältnis gesehen werden sollten. Vielmehr käme es darauf an, die beiden Themen zusammenzudenken und bestmöglich in Einklang miteinander zu bringen. Zudem thematisierte Paul Nemitz die Chancen und Risiken von Künstlicher Intelligenz (KI). So warnte der Chefberater der Europäischen Kommission im Bereich Justiz und Verbraucherschutz vor der Bildung von umfassenden persönlichen Profilen, vor allem durch große Techunternehmen. Solche Profile könnten in Kombination mit der Analyse- und Manipulationskraft von KI zur Vorhersage und sogar perspektivisch zur Manipulation menschlichen Verhaltens führen und somit die Freiheit bedrohen. Deshalb gelte es, dieser Profilbildung frühzeitig entgegenzuwirken, durch Technik ebenso wie durch gesetzliche Regulierungen.
Dr. Astrid Mager, Senior Researcher an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, zeigte in ihrer Keynote „Europäische Suche? Vom Datenkapitalismus zur Suchmaschinen-Diversität“ Lösungswege und konkrete Interventionen auf, um Technologieprojekte aus Europa zu stärken. Als besonders vielversprechend erachtet sie Projekte zum Aufbau gemeinsamer europäischer Suchindizes. Die langjährig zum Thema Suchmaschinen forschende Wissenschaftlerin betonte die essenzielle Bedeutung von Suchtechnologie als „Basisinfrastruktur“ für unser heutiges Leben und die Notwendigkeit, zu verstehen, wie Algorithmen unser Wissen und unsere Wahrnehmung der Welt prägen.
Professor Ulrich Kelber, der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, sprach in seiner Keynote „The winner takes it all?“ über „Selbstbestimmung und Fairness beim Teilen von Daten“. Dabei zeigte er, welche Voraussetzungen nötig sind, um das Vertrauen in die gemeinsame Nutzung von Daten zu stärken. Ulrich Kelber forderte beispielsweise eine kritische Auseinandersetzung mit global agierenden „Datenkraken“, deren Macht durch regulative Maßnahmen eingehegt und der Einfluss auf Politik und Gesellschaft stetig reflektiert werden müsse. Im Kontext des öffentlichen Sektors hob der Bundesdatenschutzbeauftragte die Bedeutung von Open Data hervor, ebenso wie die Notwendigkeit, dass die öffentliche Hand eine Vorbildrolle dabei einnimmt, wie Daten zum Wohle der Gesellschaft geteilt werden können.
In der von Dr. Marit Hansen moderierten Abschlussdiskussion zwischen Prof. Ulrich Kelber, Dr. Astrid Mager und Christian Busse, vom Verein Nationale Forschungsdateninfrastruktur (NFDI) und dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ), gab es Einigkeit darüber, dass das Konferenzthema „Gemeinwohlorientierte Datennutzung“ auch in Zukunft viel Aufmerksamkeit verlangt. Als besonders vielversprechende Felder, auf denen ein Aufbrechen von Datensilos im Sinne des Gemeinwohls erfolgen sollte, identifizierten die Teilnehmenden Medizin und Mobilität. Um den Weg für funktionierende Lösungen zu bereiten, sei interdisziplinäre und vernetzte Forschung wie in der Plattform Privatheit essenziell.
Mit der Konferenz ist es gelungen, die Forschungsgemeinschaft auf dem Feld der Privatheit stärker zusammenzubringen. Dies zeigte sich insbesondere auch am Vortag der Konferenz, an dem auf Initiative des Konferenzorganisationsteams vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) und dem Wissenschaftlichen Zentrum für Informationstechnik-Gestaltung an der Universität Kassel rund 25 Vertreterinnen und Vertreter von jüngst angelaufenen Forschungsprojekten der Plattform Privatheit zusammenkamen. Die Teilnehmenden haben viele inhaltliche Überschneidungen entdeckt und die Absicht bekundet, künftig eng zusammenzuarbeiten, zum Beispiel in der Wissenschaftskommunikation oder im Rahmen von gemeinsamen Workshops und anderen Veranstaltungen.