Am 16. und 17. April 2024 diskutierten in Lübeck mehr als 200 Teilnehmende aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft über Themen wie Anonymisierungstechnologien, Datenschutz sowie sichere und innovative Datennutzung. Ausgerichtet hat den Kongress das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Forschungsnetzwerk Anonymisierung.
Beim Kongress „Anonymisierung für eine sichere Datennutzung“ (AnoSiDat) in Lübeck standen die Herausforderungen und Chancen von Anonymisierungstechnologien im Fokus. Dabei wurde deutlich, was diese Technologien leisten können, um sensible Daten zu schützen und sie gleichzeitig für innovative Anwendungen nutzen zu können.
Die Bundesministerin für Bildung und Forschung Bettina Stark-Watzinger eröffnete den Kongress per Videogrußwort. Sie betonte darin die Bedeutung der weitergehenden Datennutzung, um die Potenziale der Digitalisierung zum Beispiel in der Medizin, der Mobilität oder generell für Anwendungen der Künstlichen Intelligenz (KI) heben zu können. Gleichzeitig sei es wichtig, hierbei Datenschutz − und damit Privatheit sowie freiheitlich-demokratische Werte − nicht zu opfern. Die Bundesforschungsministerin sehe das Forschungsnetzwerk Anonymisierung als Schlüsselinitiative, um diesen vermeintlichen Zielkonflikt aufzulösen: „Wir fördern mit Ihrem Netzwerk ein Setting, das Innovationen ermöglicht und zugleich unsere Werte schützt.“
Zudem richtete die Ministerin an die versammelten Forschenden den Appell, das Silodenken aufzubrechen, über Forschungsgrenzen hinwegzudenken und zusammenzuarbeiten. Ebendieses grenzüberschreitende Denken und der Geist der Zusammenarbeit waren an den beiden Kongresstagen spürbar. Die Forschenden der fünf Kompetenzcluster und 17 Projekte des Forschungsnetzwerks Anonymisierung kamen bei der Veranstaltung intensiv ins Gespräch – untereinander ebenso wie mit am Thema Interessierten über die engere Forschungscommunity hinaus.
Impulse lieferte auch die Keynote „Privacy and Security for the Software-Defined Vehicle“ von Christian Zimmermann. Der IT-Sicherheitsexperte befasst sich bei Bosch Mobility mit der Cybersicherheit von Produkten und gab einen Einblick, welche Relevanz Technologien zum Schutz der Privatsphäre für den Automobilzulieferer haben. In seiner Keynote betonte Zimmermann die wachsende Bedeutung von Datenschutz im Bereich der Automobilindustrie, insbesondere durch die Entwicklung hin zu softwaredefinierten Fahrzeugen. Er stellte heraus, dass es notwendig sei, Mechanismen zum Schutz von Privatheit kontinuierlich weiterzuentwickeln. Die Herausforderung liege dabei nicht nur in der Handhabung der erfassten Daten, sondern vor allem in deren weiterer Verarbeitung. Als vielversprechenden Ansatz zur Lösung dieser Herausforderungen sieht der Experte „Differential Privacy“. Bei diesem Datenschutzkonzept wird die Privatsphäre von Individuen geschützt, indem zufällige Daten zu echten Daten hinzufügt werden, um Rückschlüsse auf einzelne Personen zu verhindern.
Christian Zimmermann war zudem Teilnehmer einer Podiumsdiskussion mit dem Titel „Daten sicher nutzen: Anonymisierung ist cleverer Datenschutz“. Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Forschung und Zivilgesellschaft diskutierten dabei über aktuelle Herausforderungen im Kontext von Anonymisierungstechnologien, Datenschutz und Datennutzung.
In der Diskussion betonte Engelbert Beyer, Leiter der Unterabteilung „Technologieorientierte Forschung für Innovationen“ im Bundesministerium für Bildung und Forschung, die einmalige Chance, die sich durch die finanziellen Mittel des Konjunkturpakets und des Aufbauplans NextGenerationEU infolge der Corona-Krise ergeben habe. Dadurch sei es möglich gewesen, mit dem Forschungsnetzwerk Anonymisierung einen neuen Förderschwerpunkt aufzubauen und Projekte zu entwickeln, die den gesellschaftlichen und technologischen Wandel effektiv vorantreiben. Er erklärte, dass es dem BMBF sehr wichtig sei, dass Investitionen gezielt in diejenigen Themen und Technologien fließen, die kurz vor der praktischen Umsetzung stehen. Zudem plädierte er für eine aktive Rolle der Forschung als Ratgeberin in Regulierungsfragen.
Als Koordinator des Kompetenzclusters „Anonymisierung für medizinische Anwendungen“ (AnoMed) unterstrich Prof. Esfandiar Mohammadi die Chancen von Anonymisierung für die Datennutzung, speziell in der Medizin. Der Leiter der Arbeitsgruppe Privacy & Security am Institut für IT-Sicherheit der Universität zu Lübeck wagte die Prognose, dass Anonymisierung in der Medizin bereits in fünf Jahren helfen könne, Datensilos aufzubrechen und zu signifikanten Fortschritten beizutragen. Ähnlich sah es der Unternehmer Matthias Steffen, Gründer, Investor und CEO des Unternehmens FUSE-AI, das medizinische KI-Software entwickelt. Für KI-Anwendungen sei viel Datenmaterial notwendig – und deshalb brauche es schnell Lösungen zur Anonymisierung, da Deutschland sonst drohe, seine Wettbewerbsfähigkeit in diesem Bereich zu verspielen.
Matthias Marx, Sprecher des Chaos Computer Clubs und Spezialist in den Bereichen der Datensicherheit und Anonymisierungstechnologien hat in den letzten Jahren eine Vielzahl an Datenlecks aufgespürt. Er machte deutlich, dass es heute noch viel zu leicht sei, sensible Daten zu erbeuten. Bei vielen Cyberangriffen hätte Anonymisierung seiner Meinung nach jedoch geholfen, größeren Schaden zu vermeiden. Zudem stellte er heraus, dass auch für KI-Anwendungen nicht wahllos Daten gesammelt werden dürften. Um der „KI-Datensammelwut“ Einhalt zu gebieten, forderte er technische Datenschutzmaßnahmen, wie sie etwa im Forschungsnetzwerk Anonymisierung entwickelt werden. Auf dem Podium herrschte Einigkeit in der Frage, dass die in der Forschung entwickelten Anonymisierungslösungen möglichst rasch den Weg in die Praxis finden sollten.
In interaktiven Workshops konnten die Teilnehmenden ihr Wissen vertiefen, Ideen austauschen und gemeinsam neue Perspektiven für die sichere Datennutzung entwickeln. Der wissenschaftliche Dialog stand dabei im Mittelpunkt, um die Entwicklungen auf dem Forschungsgebiet der Anonymisierungstechnologien weiter voranzutreiben.
Deutlich wurde beim Kongress, dass Anonymisierungstechnologien notwendiger denn je sind, gerade mit Blick auf die Dynamik im Bereich der Künstlichen Intelligenz. Anonymisierung kann die Privatsphäre der Nutzerinnen und Nutzer schützen, auch wenn umfangreiche Datenmengen verarbeitet und analysiert werden, und so entscheidend dazu beitragen, dass die weitere Technikentwicklung auf Basis europäischer Werte geschieht. Oder wie Prof. Esfandiar Mohammadi es beim Kongress formulierte: „Anonymisierung ist kein Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck – und dieser Zweck ist der Schutz persönlicher Daten.“